Breslau den 23ten Maÿ1

                         Mein theurer geliebter Sohn!

             Gestern sind es acht Tage geworden, seitdem wir wieder getrennt sind und ich
             kann in Wahrheit sagen, daß diese ge kurze Zeit mir, eine Ewigkeit dünkt.
             Eine Unzahl von Besorgnissen, haben Dich begleitet, oder vielmehr mich beglei=
             tet und gequält und nur in einem habe ich Beruhigung und Trost gefunden
             nehmlich in dem Gedanken, daß ein gütiges schätzendes Wesen über uns
             alle wacht und auch, daß Du aus Liebe für uns alles vermeiden
             wirst, was Dir schaden, in jeder Hinsicht schaden könte. - Hast Du
jezt             […]2 schon ein Logis? Dein Brief aus Berlin sagt uns daß Du noch
             keins gewählt hast. Wie wünschenswerth wäre es wenn Du mit einem
             zusammen wohnen köntest der mit Dir stimmte. Du würdest Dich weniger
             isolirt und heimathlicher fühlen und dadurch auch weniger Zerstreuung
             ausser dem Hause bedürfen. Freilich muß man nur mit der
             höchsten Vorsicht einen solchen Camedraden wählen; indessen indem
             ich dieses schreibe, hast Du gewiß schon gewählt. - Schreibe uns
             doch nächstens umständlich über diesen Gegenstand. - Was uns betrifft
             so haben wir hier die acht Tagen sehr einförmig verlebt und
             auch gestern als der erste Pfingst=Feiertag war Julie, Auguste
             
Hermine und ich zu Hause. Vater Ludowika und Gustav waren
             in den 4 Thürmen und Marie mit Fischer in Brache,3 wo sie
             sich sehr gut amüsirt habt. Heute aßen wir bis auf die drei
             Kleineren, welche nach Tisch nachkommen, im Humanitäts=Garten.
             Der Vater hat Max als Gast mit. Ich gestehe ich erwarte
             nieso viel Vergnügen und wäre lieber zu Hause geblieben um
             so mehr, da ich Kopfweh habe. Wie wirst Du die Feiertage
             zubringen?, so haben wir uns schon vielfältig gefragt. Sonnabend
             gegen Abend war ich bei Fischer, als ganz unerwartet Ferdinand
             herein trat, er war von Tauer4 zu Fuß mit Adolf gekommen
             um bis Dienstag früh hier zu bleiben. D Er sieht sehr blühend

Notes:

1 The date and place are added in a different hand. On the third page, Minna Simon responds to Heinrich Simon’s letter of 20 May 1825, SIM/2/79, which she has just received.

2 This word is crossed out and illegible.

3 Brache is a village near Pöpelwitz just outside Breslau.

4 Tauer is a village outside Breslau.