den 8ten Febr. Morgens.

                                                 1Mein Tagebuch zur Seite lieg habend, fange ich nun an
                                     zu erzählen. Den 22sten Januar besuchte ich den ersten Brühl[=]2
                         schen Ball.  Ich war über den herrlichen Saal im Schauspielhause, der
                         durch seine Größe, feenartige Dekoration und Erleuchtung alles übertrif[ft]
             was ich noch gesehen hatte, so erstaunt, daß mich nach einigen Minuten mei[n]
             Bekannter erst darauf aufmerksam machen mußte, daß ich schon eine ganze Zeit
neben dem Kronprinzen stehe. In der That stand ein kleiner, wohlgenährter Mann im
Civil neben mir, der einen großen Stubenschlüssel in der Hand hin u. her schlenkerte, u. d[en]
ich zuerst kaum für den Kronprinzen erkannte. Er sieht in Civil ziemlich unscheinbar aus, un[d]
nur sein freies, ungezwungenes Wesen hebt ihn. Sie d. Kronprinzeß ist ein allerliebstes
Weibchen mit einem so freundlichen, offenen Gesichtchen, daß man sie lieb gewinnen muß[.]
D. Großfürstinn hat ein russisches Gesicht bekommen, in dem sich nach meiner Meinung wenig
Gemüth ausspricht, obgleich es ihr daran nicht fehlt; vorzgl. ärgerte es mich, daß sie sich
so frei über den englischen Gesandten moquirte, der bei tanzte, u. den ich zwar auch zue[rst]
für einen Juden hielt.             Ihr Gemahl ist desto schöner, eine große, wohlgebaute Gestal[t]
mit einem schönen aber kalten Gesichte.             Einen Kammerherrn, der ihm etwas nicht re[cht]
zu machen schien, fuhr er auf gut russisch an. -                         Die Fürstinn von Liegnitz ist eine
hübsche Frau, eine feine Gestalt u. ein sehr feines Gesicht, doch mit einem etwas gro[ßen]
Munde. Gestern hörte ich noch eine gute Anekdote über sie.             Als sie zum ersten Male in ein[er]
königlichen Equipage ins Thor fuhr, erkannte zwar d Wache die Equipage, aber nicht die
darin sitzende Dame. Ungewiß, was zu thun sein, entriß sie schnell der Tambour ihr[er]
Verlegenheit, der mit der linken Hand lustig seinen Wirbel zu schlagen begann.
Man raisonnirt hier allgemein über das unwürdige Verhältniß der Fürstinn zur
königl. Familie u. überhaupt zum Hofe. Der König hatte den Muth sie zu seiner Ge=
mahlin zu erheben u. hat jezt den Muth nicht, ihr d. nöthige Achtung zu verschaffen;
es geht so weit, daß er oft sagen soll “keine Umstände mit ihr machen". Ich konn[te]
dies sehr gut auf den zwei ersten Bällen beobachten, wo sie ganz verlassen da sa[ß]
und stand. - Die königliche Gestalt am Hofe hat die Prinzeß Wilhelm3, die gar
nicht incognito reisen könnte. Der Prinz Karl u. Prinz Friedrich (Neffe des König[s)]
scheinen große Freunde zu sein, wenigstens sah ich sie immer Arm in Arm herumste[=]
hen. Albrecht ist ein allerliebster, geistreicher Junge, dem man d. Klugheit an[=]
sieht; er ist übrigens der geheime Rath des Königs; der Prinz Wilhelm ist vorvorgestern
mit der Charlotte nach Posen abgereist; man spricht sehr stark davon, daß die
Radtzevil4 vom Prinzen August adoptirt werden würde, früher sagte man,
vom russischen Kaiser. -             Aber Tagefbuch, wo führst Du mich hin!!
Also weiter.             Den 23 Jan. besuchte ich d. Ordensfest. Ich fand nichts ausseror=
dentliches, keinen besonders pompösen Aufzug, den ich erwartet hatte; doch
gestehe ich, erschütterte mich d. gewöhnliche neue Liturgie, auf die ich das erstemal
recht aufmerksam war. -      Des Abend’s war ich im Schauspielhause,

Notes:

1 A red crayon mark suggests that this passage was considered by Marie Gärtner.

2 Some words are partially obscured in the right margin from this point on the page.

3 This reference is to Marianne von Hessen-Homburg (1785-1846), wife of Prinz Wilhelm von Preußen, who was acting First Lady following the death of Queen Louise in 1810.

4 Princess Elisa Radziwill (1803-34) was the daughter of Polish aristocrats, secretly engaged to Wilhelm von Preußen, the second oldest son of Friedrich Wilhelm III and later Kaiser Wilhelm I. To allow the couple to marry, a plan was hatched for Prince August to adopt her, thus elevating her status. However, in the end Friedrich Wilhelm III prevented the match.